Ich finde es immer wieder faszinierend, wie so manche Fernsehdokumentation, so manches Sachbuch oder Roman zur rechten Zeit daherkommen. Diesmal war es eine Dokumentation über den Autor John Irving. Er ist vermutlich den meisten bekannt durch seinen Roman Garp und wie er die Welt sah. Die Dokumentation beleuchtet viele Elemente von Irvings Schaffen, darunter auch, wie er arbeitet. Am meisten erstaunte mich, dass er seine Romane komplett mit der Hand schreibt. Klar nutzt er auch Computer. Für’s Email schreiben, für Geschäftsbriefe, für’s Skypen. Aber eben nicht für seine Romane. Für ihn hat das Schreiben mit der Hand vor allem den Sinn der Entschleunigung und dem Fokussieren auf das, was er wie ausdrücken möchte.
Wie jeder kreative Prozess, ist auch das Schreiben ein Vorgang, der nur allzu leicht unterbrochen werden kann. Ablenkungen lauern überall. Sind die Einkäufe erledigt? Habe ich die Rechnungen bezahlt? Sind noch Emails zu beantworten? Facebook updates? Interviewfragen … ach ja, das erinnert mich … Mit ein wenig Disziplin (und abgeschalteten Benachrichtigungen! Auf allen Geräten!) bekommt man diese Arten der Unterbrechung und Ablenkung gut in den Griff. Von meinem wissenschaftlichen Schreiben kenne ich das ja bereits. Hier musste ich also nichts ändern.
Wo liegt also mein Problem? Es ist ganz einfach. Ich kann es nicht leiden, wenn Rechtschreibung und Grammatik nicht auf Anhieb stimmen. Man kann die roten und grünen Unterkringelungen abschalten. Klar. Aber da wären noch zu viele Leerzeichen, Kommas an der falschen Stelle und die falschen Anführungszeichen vor oder hinter dem entsprechenden Text. Blocksatz? Flattersatz? Und müsste der Eigenname nicht kursiv gesetzt werden? Lass mich doch mal Google zurate ziehen … You get the picture, right? Diese Kleinigkeiten reißen mich aus dem Flow und rein in die Prokrastination.
Das ist kein neues Phänomen für mich. Bei wissenschaftlichen Papieren habe ich daher meist handschriftlich vorformuliert. Ging ganz gut. Ich musste meist nur die Einleitung und Motivation vorformulieren. Vielleicht noch das Abstract entwerfen oder mögliche zukünftige Arbeiten beschreiben. Die eigentlichen Forschungsergebnisse kamen aus den Experimenten und Diskussionen mit den Koautoren. Jetzt, als freier Romanautor, geht es um längere Passagen. Mehr Text. Und als Informatiker? Sollte ich da nicht moderner vorgehen, als Papier und Bleistift zu verwenden? Sollte ich nicht gleich in die Tasten hauen, um perfekte Texte zu schreiben?
Tja, an diesem Punkt kommt die Dokumentation über John Irving ins Spiel. Der Autor erinnerte mich einfach daran, dass es wichtig ist, die richtigen Werkzeuge zum Geschichtenerzählen zu verwenden. Das mag für deinen einen das Diktiergerät sein, für den anderen ein Textprozessor, und für John Irving Papier und Bleistift. Als Informatiker kann ich jedoch nicht über meinen Schatten springen, kann ich nicht zurück zum rein Analogen. Ich bin ein begeisterter Nutzer von Apple Hardware, von iPhone über iPad zu Macbook und iMac. Die Notizen-App ist für mich eine der wichtigsten Programme. Das automatische Synchronisieren meiner Notizen ist, glaube ich, das von mir meistgenutzte Feature. Die Notizen-App erlaubt mir nicht nur, Notizen zu erfassen. Durch die iCloud habe ich die Notizen auch überall parat, und ohne, dass ich mich darum kümmern muss.
Auf dem iPad Pro nutze ich seit einer Weile die Notizen-App, um mit dem Apple Pencil handschriftlich Szenen zu entwickeln. Ich muss mich nur etwas mehr anstrengen, so leserlich zu schreiben, dass ich am Ende selbst noch entziffern kann, was ich da verbrochen habe. Mein Schreiben wird nicht nur (zwangs-)entschleunigt, es wird auch fokussierter. Ich kann Geschriebenes einfach durchstreichen und sehe später immer noch, dass ich eine andere Idee hatte. Und ich sehe auch noch, welche (dämliche oder gute) Idee das war. In der Textverarbeitung bedeutet gelöscht gleich verloren.
Heute morgen benötigte ich einen groben Lageplan, während ich eine Szene schrieb. Kein Problem. Eine Skizze im Text war in Minutenschnelle fertig.

Im selben Flow schrieb ich dann an der Szene weiter. Kein Wechsel des Mediums oder der Software war dabei nötig. Nichts lenkte ab. Der Fokus blieb erhalten. Die notwendigen Details werde ich später recherchieren.
So ähnlich entstand auch dieser Blog-Eintrag. Der erste Entwurf entstand mit dem Apple Pencil in der Notizen-App. Dann ging ich an meinen iMac und öffnete auf der linken Seite die Notizen-App und auf der rechten Seite mein Schreibprogramm, konkret: links die handschriftlichen Notizen, rechts der WordPress-Editor im Safari Browser.

Im Gegensatz zu früher brauche ich jetzt keinen Dokumentenhalter mehr für das Notizblatt oder ein Lineal, damit ich die Stelle auf dem Notizblock nicht verliere. Kein Wechsel der Blickrichtung mehr vom Schreibtisch hoch zum Monitor und zurück. Beide Dokumente liegen bequem auf meinem Bildschirm nebeneinander. Auf diese Weise kann ich den Text ins Reine schreiben. Hier besteht der Flow darin, den Text zu verbessern, auszuschmücken und in korrektes Deutsch zu verwandeln. Kommentare im Text werden zu To-Dos für später.
Durch die Verwendung des Apple Pencil und handschriftlicher Notizen konnte ich für mich den kreativen Prozess des Entwurfs von dem des Überarbeitens trennen. Alleine durch die Verwendung unterschiedlicher Werkzeuge versetze ich mein Gehirn in unterschiedliche Modi. Stift = Entwurf, Tastatur = Überarbeiten. Für mich funktioniert das.
Zudem finden beide Prozess typischerweise auch an unterschiedlichen Orten statt. Das Überarbeiten erledige ich fast ausschließlich am Schreibtisch. Diesen Prozess kann ich unterbrechen und später weiterführen. Er erfordert „nur“ Disziplin und für mich eine andere Art der Konzentration als beim Entwurf. Der Entwurfsprozess ist für mich viel fragiler. Für ihn brauche ich eine bestimmte Energie und muss besonders fokussiert sein. Tastatur und Schreibprogramm lenken mich da leicht ab. Die notwendige Energie bzw. den Fokus finde ich z. B. am Wohnzimmerfenster, wenn ich auf den Fluss und in die Ferne schaue, oder wenn ich im hektischen Café sitze. Am Schreibtisch fällt mir das immer sehr schwer.
[P. S.: Über Kommentare und Anmerkungen würde ich mich freuen.]
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